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Wahl der Waffen

eBook - Roman

BTB
Erschienen am 28.06.2010, Auflage: 1/2010
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783641034993
Sprache: Deutsch
Umfang: 176 S., 0.20 MB
E-Book
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Wie eine junge Frau zur Terroristin wird

Die Journalistin Katia entdeckt auf einem Fahndungsplakat das Foto ihres ehemaligen Kindermädchens. Sie verfolgt die Spur dieser Frau: Jette hat sich Mitte der sechziger Jahre aus der Kleinstadt nach Tübingen davongemacht, später nach Berlin. 1967/68 gerät sie über Liebschaften in den Untergrund, als Bankräuberin steigt sie Anfang der Siebziger zur meistgesuchten Frau Deutschlands auf. Katia will verstehen, warum sich Jette für die Gewalt, den Untergrund, die Angst entschieden hat, will herausfinden, was damals wirklich geschah

Autorenportrait

Judith Kuckart, geboren 1959 in Schwelm/Westfalen, absolvierte eine Tanzausbildung an der Folkwang-Schule in Essen und studierte Literatur- und Theaterwissenschaften in Köln und Berlin. 1986 gründete sie das Tanztheater Skoronel in Berlin. mit dem sie bis 1998 an verschiedenen deutschen und internationalen Bühnen Stücke aufführte, an denen sie als Autorin, Tänzerin, Choreografin und Regisseurin mitwirkte. Seit 1990 erschienen zahlreiche Romane, zuletzt Kaiserstraße (2006) und Die Verdächtige (2008). Für ihr Werk wurde Judith Kuckart vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis 2012, dem Margarete-Schrader-Preis für Literatur der Universität Paderborn 2006 und dem Deutscher Kritikerpreis 2004.

Leseprobe

Wie groß und dumm du geworden bist. Dreimal wirst du mich nicht verleugnen. Sie läse den Satz von ihren Lippen ab. Kein Sterbenswort.
Breitbeinig steht sie da, läßt nicht nach in den Knien, die leicht nach innen sich drehen, bückt sich nicht mehr, um Krusten zu knibbeln, ungeduldig. Heraus aus dem Alter, gestürzt, geschunden, das Weinen verdrückt und ein verrotztes Taschentuch um die Blutspur gebunden. Vorbei.
Sie, sie ist sentimental geworden. Die andere ist sicher geblieben, hat den Kopf gewendet, den Luftpostbrief bezahlt. Sie hat sich gemüht, die Anschrift zu entziffern. Vergeblich.
Die andere ist gegangen. Sie ist in der Schlange stehengeblieben, hat ihr nachgeschaut. Der Aushang neben dem Schalter, er hängt im Bahnhof, im Wiegehäuschen am Ortsausgang, neben der Eingangstür im Standesamt, beim Metzger auf der Hauptstraße.
Unveränderliche Merkmale.
Sie hat gelächelt. Die Frau am Schalter mit der Hasenscharte hat gefragt, ob das alles sei. Ob sie eine Quittung brauche? Sie hat versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Auch nicht, daß sie die Hasenscharte sehr wohl bemerkt.
Davor und danach sind zehn Jahre gekommen und gegangen, gab es Zeugen und keinen, dem etwas auffiel.
Paris gefällt Katia nicht mehr. Jeden Morgen muß sie weiter laufen als andere, um ihre Zeitung zu bekommen. " Der Zug wird mit zwanzig Minuten Verspätung eingesetzt, entschuldigt sich die heisere Frauenstimme aus dem Lautsprecher. Der Bahnsteig füllt sich mehr und mehr, als habe sie etwas versprochen, eine Reise zur Nacht, im Orientexpress, mit ihr, der Unbekannten.
Was habe ich im Leben der anderen zu suchen, in das ich nicht hereingebeten wurde?
Katia holt aus.
Erzählen: Wirklichkeiten hersagen. Was war wahr? Dies ist die Geschichte einer Frau, die schreibt, und die einer Frau, die fast erfunden, nachträglich. »Ich« bleibt ein unanständiges Wort.
Katia holt aus. Der Bahnsteig ist eine böse Nachricht lang. Sieben Mal. »Im Libanon ums Leben gekommen«. Das könnte ebenso eine Nummer sein, die nicht aus dem Kopf geht, Telefonnummer eines kleinen Ortes, die sie hersagt, weil sie zum Schreiben nichts zur Hand hat. Zwischen den Wörtern im Rhythmus der Schritte taucht ein Waldweg auf, farnverwachsen, eine Turnhalle, Schweißgeruch auf Gummimatten, Geistergärten voll wilden Rhabarbers im Spätsommer. Bilder kommen sich in die Quere, schlagen übereinander, werden beiseite gedrängt von denen, die lauter schreien, schärfer riechen, und doch untergehen. Schriftzüge: »L« schreibt sich mit dem gleichen Schwung wie " Libanon.
Katia ist begabt und wird trotzdem Journalistin. Mit einem Stipendium im Rücken arbeitet sie bei Radio France. An manchen Tagen bleibt sie in der Wohnung, nah dem Bett, fährt nach dem Frühstück mit dem Finger Namen im Telephonbuch ab, hält inne bei denen, die den Kreis für Anrufbeantworter haben, wählt, schneidet mit, legt auf. Sie will aus dem Material etwas machen, wie sie aus allem etwas machen will.
Katia hat die Story gesucht. Sie ist eine gründliche und eine träge Person.
Als sie am Gare du Nord die Fahrkarte nach Berlin, einfach, löst, weiß sie, sie wird zu spät kommen. Zu spät kommen heißt, den anderen nicht mehr lebend antreffen?
- Jette, du hast keine Brust. Mit der Behauptung hoffte sie, Jette würde das Gegenteil beweisen wollen.
- Jette, du bist eine Hexe, du hast einen braunen Fleck auf der Lippe.
Jette nannte sie sie. Jette, wie man einem Spielzeug den Namen gibt, der nach rotem Holz klingt. An diesem Nachmittag hatten sie sich angemalt, die Brust ausgestopft und Verliebte gespielt. Jette war achtzehn, und das Kind, das sie hüten sollte, hüfthoch, kaum größer, auch auf Spitze nicht.
- Was ist das, ein Sterbenswort, wer stirbt da? Der, der spricht? Sag, was ist das eine Geheimhaltung? Eine geheime Haltung, ist das gebückt stehen vor oder hinter einem Geheimnis? Einem verwunschenen Schloß, einem Raub?
So wie es war, wird es nie mehr sein können. Doch darüber hatte sie noch nicht mit sich gesprochen, hatte nur leise die Reise erwähnt, die zu tun blieb. Sie hatte Unterhosen in den Koffer gezählt, unsicher, ob sie reichten, und die Etagentür zweimal abgeschlossen. Sie bliebe also länger als über eine Nacht fort. Am Bahnhof hatte sie vor wenigen Minuten sieben Tageszeitungen gekauft. Um ganz sicher zu gehen. Sie setzt sich auf die freie Kante einer Bank, beißt die Handschuhe von den Fingern. »Die Polizei hat die Fahndung nach der neununddreißigjährigen Deutschen eingestellt. Gelöscht ... im Libanon ums Leben gekommen«. Die Meldung hakt. Katia sucht und findet sie in keiner anderen Zeitung, auch in »Liberation« nicht.
Was nur eine schreibt, ist auch schon wahr?
Besorgt reißt sie die dreißig Zeilen aus Seite vier heraus, rollt zwei Briefmarken feucht ineinander und heftet die Notiz auf den inneren Pappdeckel eines Schulheftes. Wo es zuschlägt.
An diesem Morgen hatte sie sich selbst überfallen und sich aller ihr geltenden Gründe beraubt. Hatte, auf dem letzten Wort der Todesmeldung angekommen, die Reise nach Berlin bereits begonnen. Jenseits aller Recherchen sollte sie Jette suchen. Nur so, sie hatte sich um eine halbe Achse gedreht. Nur so? Nein. So nur.
Katia steht auf. Der lange Rock schlägt ihr zwischen die Beine, als sie mit großen Schritten erneut die Bahnsteigkante abmißt. Kummer mehr, mehr als Kälte kriecht an ihr hoch. So ist sie, was kann sie dagegen tun. Denen, die ohne Abschied gehen, bleibt sie erst recht treu.
Ein älterer Mann in Hut und weißem Schal sucht, ihren Blick zu fangen. Katia ist dreiundzwanzig, bewegt sich entschieden ungelenk, denkt an ihre Topfpflanzen in Sektkübeln. Trinkt lieber Whisky. Lieber mehr. Mehr Mädchen als Frau. Sie zögert, bleibt stehen. »... im Libanon auf der Seite der Palästinenser ums Leben gekommen. Eine amtliche Todesmeldung will die Staatsanwaltschaft jedoch vorläufig...« Sie ist aus dem Takt geraten. Alles, was sie bisher gewollt, hat kein Gewicht mehr gegen diese Schwere. Sie bewegt die Lippen, als ziehe sie Kugeln einer endlosen Kette durch die Finger. Etwas so lange wiederholen, bis es sichtbar, so lange wiederholen, bis die nächste Bewegung zwangsläufig, zwangsläufig richtig. Zieh'. Aus.
Sie drückt die Fäuste gegen die Augäpfel, bis ihr Bilder kommen, in einem hohen Weiß, auf einem spitzen Ton. Eine neununddreißig Jahre alte Frau stirbt in der Mittagshitze von Sidon. Die Sonne steht so hoch, daß die Frau im Fall keinen
Schatten wirft. Das Bild ist gelb. Die Frau heißt. Da fehlt die Bildunterschrift. So ein Gesicht, gar kein Gesicht mehr, über ein offenes Grab gebeugt. Hätte sie davon ein Bild, hätte sie ein geglücktes Photo vom Unglück, sie würde es niemandem zeigen.
Sitze in einem Geisterhaus, die Läden klappern, der Boden knarrt, niemand kommt, und ich erwarte alles. Ich verstehe, wie ich will. Fiktion mag Verleumdung sein in diesem Fall. Nicht die Erinnerung, nein, sondern das, was ich besser nicht weiß, warnt mich vor weiterem Wort.
Ahne, in gewissen Nächten gegen Morgen streift mich der Atem einer Frau, die sich ans Fensterkreuz geknüpft hat, um endlich schlafen zu können.
Der Mann im Hut sucht sie zu grüßen. Katia starrt zurück. Die Geste gefriert ihm in den Adern. Stirbt ein Mensch, läßt er den anderen nicht weiterleben wie zuvor. Katia sieht eine ratlose Katia. Im Libanon ums Leben gekommen. Was tun? Es lassen. Ja, sprachlos und mit dem gebührenden Abstand einer alten Nähe sich dem Trauerzug anschließen, bei dem der Sarg längst fort und nur den Weg läßt. Jette mit Worten, die, gleich verworfen, in die Unverständlichkeit folgen. Katia wickelt einen Kaugummi aus dem Stanniolpapier. Vielleicht, am Ende, wird ein halber Satz übrigbleiben. Katia findet sich gar nicht m Leseprobe

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