0

Meine bessere Schwester

Erschienen am 13.10.2022
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783036958828
Sprache: Deutsch
Umfang: 510 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 19 x 12.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein fesselnder und psychologisch packender Roman über komplexe Familienverhältnisse und die Tücken von Geschwisterbeziehungen. Als Erwachsene müssen die Schwestern Alice und Hanna mit vielem fertigwerden - nicht nur mit Enttäuschungen in der Arbeit und in der Liebe, sondern auch mit immer komplizierteren Spannungen und Unausgesprochenem in der Familie. Ihr Leben sieht dem, das sie sich immer vorgestellt hatten, erschreckend unähnlich. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als zu versuchen, ihre zerrüttete Beziehung zueinander zu reparieren und einen Weg zu finden, mit ihrer dominanten Mutter umzugehen. Sie müssen herausfinden, ob das Leben wirklich mehr ist als eine Tragödie mit ein paar lustigen Momenten - wie Hanna es ausdrücken würde.

Autorenportrait

Rebecca Wait, 1988 geboren, verbrachte als Kind viel Zeit in den schottischen Highlands und auf den Hebriden. 2010 schloss sie ihr Englischstudium an der Oxford University ab. Heute ist sie Lehrerin in London. Sie hat zahlreiche Preise für ihre Kurzgeschichten und Theaterstücke gewonnen. Ihre Romane "Kopfüber zurück" und "Das Vermächtnis unsrer Väter" erschienen ebenfalls bei Kein & Aber. AnnaChristin Kramer, geboren 1987, lebt in Maryland und übersetzt seit zehn Jahren Literatur aus dem Englischen. Für Kein & Aber hat sie Nicola Upson, Kevin Kwan, Mason Currey u.a. ins Deutsche übertragen.

Leseprobe

2018 Alles in allem gehen sie gern auf Beerdigungen. Michael hat einen Sinn fürs Zeremonielle, Hanna erfreut sich am Drama, und Alice mag es, wenn Menschen dafür zusammenkommen. Ihrer Mutter geben Beerdigungen ein Gefühl des Triumphes. Heute ist Alice früh dran und wartet am Eingang des Krematoriums auf die Gäste. Das ist ihre Rolle im Leben - früh dran sein, genauso wie es Hannas ist, zu spät zu kommen (oder gar nicht erst aufzutauchen, oder genau dann, wenn sie nicht sollte). »Es wäre netter, wenn du draußen warten würdest«, sagt ihre Mutter. »Aber es regnet.« »Wir sind hier bei einer Beerdigung, Alice«, erwidert ihre Mutter, als müsste sie sich deswegen nass regnen lassen. Aber da ihre Mutter keine Anstalten gemacht hat, mit ihr im Regen zu warten, und außerdem sowieso verschwunden ist, bleibt Alice im überheizten Eingangsbereich stehen, in dem es nach Desinfektionsmittel und feuchter Wolle und etwas anderem, unbestimmt Durchdringlichem riecht. Alice hofft inständig, dass es nicht der Geruch des Todes ist. Sie hat ihrer Mutter bei den Vorbereitungen geholfen, so lautet zumindest die offizielle Version. In Wirklichkeit hat sie das meiste allein erledigt, Bestattungsunternehmen kontaktiert, gemeinsam mit dem Redner den Ablauf der Trauerfeier geplant (komisch, dass man unter diesen Umständen von einer Feier spricht, denkt Alice) und die Räumlichkeiten des nahe gelegenen Working Mens Clubs für den anschließenden Trauerkaffee reserviert. Die Auswahl des Büfetts hat ihr am meisten Kopfzerbrechen bereitet, da sie nicht einschätzen konnte, wie viele Gäste kommen würden. Vor ein paar Wochen hatte sie einen ganzen Samstag lang im alten Haus die Unterlagen ihrer Tante durchgesehen und ein paar Adressen gefunden (manche davon ohne Namen), an die sie Trauerkarten verschickte. Außer[1]dem entdeckte sie einige Telefonnummern und hinterließ Nachrichten, unterhielt sich mit einem sehr netten Mann, der behauptete, ihrer Tante nie begegnet zu sein, und einer weniger netten Frau, die sie erst anraunzte und dann abrupt auflegte. Ein paar Nachbarn ihrer Tante haben zugesagt, ältere Herrschaften, die schon lange vor dem Tod ihrer Großeltern in der Straße wohnten. Der Sarg ihrer Tante steht bereits vorne in der Kapelle. Alices Mutter war dagegen, ihn feierlich hereintragen zu lassen.»Das ist ein unnötiger Aufriss«, meinte sie. »Was ist, wenn sie den Sarg fallen lassen?« »Sie lassen ihn bestimmt nicht fallen«, erwiderte Alice. »Sei dir da mal nicht so sicher. Richtig leicht war deine Tante nicht.« Alice, immer bemüht, ihre Tante zu lieben, geht nicht weiter auf den Kommentar ein. Die ersten Autos rollen auf den Parkplatz. Durch das regennasse Türfenster beobachtet Alice die Leute beim Aussteigen und spürt, wie ihr stellvertretend das Herz in die Hose rutscht - ihr altes Ankunftsproblem. Wenn sie als Kind zum Spielen (oder noch schlimmer, zu einer Feier) zu einer Freundin oder zu ihren Großeltern gebracht wurde, wuchs die Nervosität jedes Mal kribbelnd und unerbittlich an, und wenn der Motor abgestellt wurde, sackte ihr der Magen in die Kniekehlen (Hanna dagegen schritt munter voran und drehte sich kein einziges Mal um). Die Verabredung an sich verlief dann meistens problemlos, machte manchmal sogar Spaß. Die Kluft zwischen Abwesenheit und Anwesenheit bei einer sozialen Verpflichtung ist Alice schon immer massiv erschienen, muss jedoch irgendwie innerhalb weniger Sekunden überwunden werden. Alice entdeckt unter den Ankömmlingen keine Spur von Hanna. Sie zieht die schwere Holztür auf und begrüßt zwei ältere Damen, Nachbarinnen ihrer Tante. Mrs Linden und Mrs Jackson, die Namen fallen ihr gerade noch rechtzeitig ein. Sie tauschen sich kurz über das schlechte Wetter aus, dann wendet sich Alice dem Mann zu, der nach den beiden hereingekommen ist. Er ist sehr dünn, hat sich das schüttere Haar über den Kopf gekämmt und trägt eine hellbraune, mit Regentropfen gesprenkelte Wildlederweste. »Ich war ein naher Freund von ihr«, sagt er und schüttelt Alice die Hand. Er betont das Wort »nah« auf leicht verstörende Weise. »Wie schön«, erwidert sie. »Woher kannten werden. Plötzlich wird ihr klar, dass sie auch seinen Namen nicht kennt. Sie wagt sich auf der Suche nach hilfreichen Informationen noch einmal an die Frau heran. »Wie war die Anreise?« »Sehr leicht, Liebes«, antwortet die Frau. »Du weißt doch, dass wir direkt um die Ecke wohnen.« Eine Nachbarin, denkt Alice triumphierend. Dann lächelt die Frau. »Schon komisch, wie ähnlich du ihm siehst. Ach, er wird uns wirklich fehlen.« Langsam dämmert es Alice, dass hier ein Missverständnis vorliegt, doch sie weiß nicht, wie sie es am besten ansprechen soll. »Fast schon unheimlich.« Die Frau mustert sie genauer. »Als stünde er vor mir. Du hast seine Augen. Und seine berühmte Nase! Sogar den gleichen Unterkiefer.« Der Vergleich kommt Alice nicht gerade schmeichelhaft vor, und sie setzt an: »Wissen Sie, ich glaube -« Doch die Frau unterbricht sie. »Ich gehe dann mal lieber Marjorie suchen. Sie hat mir geschrieben, dass sie mir einen Platz freihält, und du kennst sie ja.« Alice bleibt mit dem westentragenden Freund ihrer Tante zurück. Die Demütigung ist umso schmerzhafter, da sie vor Zeugen geschah, und sie sucht nach einem beiläufig amüsierten Kommentar, mit dem sie die Situation abtun kann, doch der Mann kommt ihr zuvor. »Nette Dame. Wenn Sie nichts dagegen haben, suche ich mir dann auch mal einen Platz.« Alice sieht ihm hinterher. Sie ist in eine Spirale aus Selbstvorwürfen gestürzt und verbringt die nächsten Minuten damit, das Gespräch mit der Dame im Blazer geistig zu rekonstruieren, um zu bestimmen, was sie anders hätte machen sollen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die peinliche Begegnung sie in Zukunft nachts heimsuchen wird. Sie spürt jetzt, dass ihr zu warm ist, Schweiß sammelt sich in ihren Achselhöhlen und verdunkelt den dichten Stoff ihres Kleides. Das Kleid war ein Fehlkauf, Folge einer panischen Onlineaktion vor ein paar Tagen. Auf der Webseite hatte es elegant gewirkt, aber als Alice sich am Morgen im Spiegel betrachtete, sah es aus, als wäre sie in einen dunklen Sack gehüllt, eine Art mittelalterliches Büßergewand. Gleichzeitig ist der voluminöse Stoff unter den Armen zu eng, saugt ihren Schweiß auf und schränkt gleichzeitig den Bewegungsradius ihrer Arme ein. Diese Anhäufung kleinerer Katastrophen nimmt sie derart in Anspruch, dass sie überhaupt nicht bemerkt, wie Hanna plötzlich hinter ihr auftaucht. »Ich bin durch die andere Tür gekommen«, sagt Hanna, als Alice sich umdreht und sie entdeckt. »Wusstest du, dass da hinten noch eine Kapelle ist? Ich wäre beinahe auf der falschen Beerdigung gelandet.« Sie senkt die Stimme. »Und? Wo ist sie?« »Vorne im Sarg. Wurde schon reingebracht.« Hanna lacht auf. »Ich meinte unsere Mutter. Mach mir mal keine falschen Hoffnungen.« »Weiß ich nicht. Wir sind zusammen gekommen, aber seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.« »Wie ist sie heute drauf?« »Ziemlich fröhlich...

Schlagzeile

Zwillingsschwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten